Glossar

Erklärungen zu Begriffen aus dem Bereich der Provenienzforschung und den vier Forschungskontexten von Proveana.

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H

Hagenbeck

Bereits seit den 1860er Jahren besaß die Familie Hagenbeck eine mit Tierschauen verbundene Tierhandlung am Spielbudenplatz im Hamburger Stadtteil St. Pauli. 1866 wurde sie von Carl Hagenbeck übernommen und in den nächsten Jahren zu einer der größten Tierhandlungen der Welt erweitert und schließlich zum Neuen Pferdemarkt verlegt. Ab 1874 organisierte Hagenbeck auch →Völkerschauen. Am 7. Mai 1907 eröffnete mit “Hagenbecks Tierpark” der weltweit erste Zoo ohne Gitter im Hamburger Stadtteil Stellingen. Unter dem Namen Tierpark Hagenbeck existiert der Zoo bis heute am gleichen Standort und ist nach wie vor im Familienbesitz. Völkerschauen wurden noch bis in die 1930er Jahre auf dem Gelände des Zoos durchgeführt. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Hamburger Südsee-Expedition

Zwischen 1908 und 1910 reiste eine von Hamburg aus organisierte Expedition durch die damaligen deutschen Kolonialgebiete der als „Südsee“ bezeichneten Region Ozeanien. Die Reise wurde von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung finanziert. Mit einem gecharterten Dampfer untersuchten zwei Jahre lang mehrere Wissenschaftler:innen (aus der Ethnologie, Anthropologie, Medizin) den sogenannten "Bismarck-Archipel" und die Inselgruppe der Karolinen. Die Ergebnisse wurden in etwa 30 Bänden publiziert; das Unternehmen wurde zu einer der erfolgreichsten und bekanntesten Forschungsunternehmungen in Ozeanien. Die erhaltenen Unterlagen wie auch ein Großteil der auf der Reise gesammelten Objekte (siehe auch →"Anonymer Ankauf") sind nach wie vor im Hamburger Völkerkundemuseum (heute Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt). Die Expedition bietet ein gutes Beispiel für die Verknüpfung von wissenschaftlicher Forschung und kolonialem Interesse. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Hamburgisches Kolonialinstitut

Das Hamburgische Kolonialinstitut war die erste staatliche Hochschule Hamburgs. Überlegungen, eine eigene Universität zu gründen, hatte es in Hamburg schon während des 19. Jahrhunderts gegeben. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergab sich jedoch die Möglichkeit, den vom →Berliner Reichskolonialamt geplanten neuen Lehrstuhl für Kolonialwissenschaften, der der besseren Ausbildung des künftigen Personals für die deutschen Kolonien dienen sollte, wegen der strategisch günstigen Verortung Hamburgs im „Überseehandel“ in die Stadt zu holen und damit ein Institut zu begründen. Dieses wurde 1908 vom Hamburger Senat und der Hamburgischen Bürgerschaft per Gesetz gegründet.

Zu Beginn konzentrierte sich der Unterricht tatsächlich auf eine Ausbildung für die Tätigkeit in den Kolonien; bald jedoch entwickelte sich das Institut weiter und wurde zu einer allgemeinen Forschungsstelle für Auslandskunde, auch wenn die Zahl der Studierenden weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Es gab Unterricht in Völkerkunde, Geschichte, Germanistik, Anglistik, Romanistik, sowie Sprache, Kultur und Geschichte Ostasiens, des „Orients“, Afrikas, Japans, Indiens, und Russlands. Hinzu kamen Physik, Geografie, Geologie, Mineralogie, Astronomie, Zoologie, Botanik, Tropenmedizin, Nationalökonomie, Öffentliches Recht und Philosophie. Zur Unterstützung der Lehre wurde eine zentrale Sammelstelle für Dokumente und Informationen aus den deutschen Kolonien eingerichtet und bald auf die gesamte Weltwirtschaft ausgeweitet. Nach dem Ersten Weltkrieg bestanden die wissenschaftlichen Institute und ihre akademischen Aufgaben weiter fort und bildeten eine Grundlage für die heutige Universität Hamburg. Auch die zentrale Sammelstelle existierte weiter und wurde 2007 in die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) integriert. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Handelskolonie

Bei dieser seit der beginnenden frühen Neuzeit vorherrschende Form der Kolonisierung wurden zunächst von Kaufleuten Unternehmungen und Handelsstützpunkte errichtet, die der Ausfuhr von Landesprodukten und der Einfuhr europäischer Waren dienten. Erst im Laufe der Zeit übernahmen die Herkunftsstaaten der Kaufleute die Hoheit über diese Handelskolonien, meist unter dem Vorwand, den Handel und die Handelnden schützen zu müssen und sie daher militärisch zu sichern. Auf diese Weise entstanden die meisten deutschen Kolonien. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Herkunftsgesellschaft

Der Begriff „Herkunftsgesellschaft“ (manchmal auch „Urhebergesellschaft“) hat sich in jüngster Zeit als deutschsprachige Alternative zu dem in der anglophonen Museumswelt durch Peers/Brown (2003) geprägten Begriff „source community“ etabliert. Letzterer erfuhr zunehmend Kritik, beispielsweise aufgrund seiner naturalisierenden Bildlichkeit. In der anglophonen Debatte werden daher mittlerweile Begriffe wie „community of origin“, „creator community“ und „heritage community“ bevorzugt.

„Herkunftsgesellschaft“ bezeichnet in der Debatte um Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten diejenige Gesellschaft/Gemeinschaft, von deren Mitgliedern (Künstler:innen, Handwerker:innen etc.) die jeweiligen Objekte geschaffen, genutzt und besessen wurden, bevor sie von Europäer:innen erworben und in der Folge musealisiert wurden, sowie diejenige Gesellschaft/Gemeinschaft, deren Mitglieder sich als die Nachfahr:innen der einstigen Schöpfer:innen/Nutzer:innen/Besitzer:innen der Objekte verstehen. Der Begriff trägt der Tatsache Rechnung, dass die heutigen postkolonialen Nationalstaaten des Globalen Südens, die sogenannten „Herkunftsländer“ musealisierter Objekte, erst im Zuge der Kolonisierung/Dekolonisierung geschaffen wurden; subnationale Gruppen (z.B. indigene Gemeinschaften, ethnische Minderheiten) fordern daher unabhängigen Zugang zu und Verfügungsrecht über ihr kulturelles Erbe. Zuschreibungen zu ethnischen und kulturellen Gruppen, wie sie während der Kolonialzeit von europäischen Sammler:innen und Kurator:innen vorgenommen wurden und in europäische Museumsinventare Eingang fanden, müssen mit quellenkritischer Sorgfalt behandelt werden – sie spiegeln oft koloniale Wissensordnungen, Stereotypen und Verkürzungen wider. (LF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Herrenloses Kulturgut

Vom Eigentümer oder Vorbesitzer verlassener Kulturbesitz, wie er nach Ende der Kampfhandlungen 1945 an allen Orten zuhauf anfand. Behörden oder Amtspersonen (z.B. Bürgermeister, Denkmalpfleger, Beschlagnahmedezernenten) sammelten herrenloses Kulturgut mit der Begründung des Schutzes vor Zerstörung oder Plünderung ein. Von einer Bergung herrenlosen Kulturguts lässt sich sprechen, wenn das fremde Eigentum durch Dritte in treuhänderischer Absicht fremdem Zugriff entzogen und tatsächlich eine Eigentümersuche angestrengt, also im Sinne des rechtmäßigen Eigentümers gehandelt wurde. Eine Beschlagnahme herrenlosen Kulturguts liegt jedoch vor, wenn bereits in enteignender Absicht herrenloses Kulturgut konfisziert und weitergegeben wurde. Zur Eigentumsfrage bei beschlagnahmtem herrenlosem Kulturgut bereits ab 1945 gibt eine entsprechende Anordnung der Landesverwaltung Sachsen ein Beispiel: „Herrenlose Privatsammlungen sind von den örtlichen Museumsleitern mit den Gegenständen ihrer eigenen Museen zurückzuführen und ebenfalls zu inventarisieren.“ (Landesverwaltung Sachsen an die Leiter der örtlichen Museen vom betreffend den Befehl Nr. 85 der SMAD vom 02.10.1945). (MD)

  • Kulturgutentziehungen in SBZ und DDR

Herrnhuter Brüdergemeine

Die Gemeinschaft hat ihren Ausgangspunkt in der böhmischen Reformation und ist vom Calvinismus und Pietismus geprägt. Bestimmendes Element ist die seit 1732 weltweit betriebene Missionstätigkeit. Mit dem Beginn der Missionstätigkeit in →Deutsch-Ostafrika 1891 beteiligte sich die Kirche an der Kolonialmission. Heute hat die Gemeinschaft weltweit ca. 825.000 Mitglieder. (JH)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Human Remains

In der postkolonialen Debatte beziehen sich die Begriffe Human Remains oder menschliche/sterbliche Überreste in der Regel auf die anthropologischen Schädel- und Skelettsammlungen aus aller Welt, die seit dem 18. Jahrhundert in europäischen und nordamerikanischen Institutionen angelegt wurden und hier zumeist Gegenstand →rassenkundlicher Forschungen waren. Gesammelt wurden sie fast immer gegen den Willen der Betroffenen oder Angehörigen, deren Nachkommen sich auch später nicht gegen die Beforschung und Ausstellung der Überreste wehren konnten. Bereits gegen die Sammlung der sterblichen Überreste gab es aktive Proteste der jeweiligen Gemeinschaften, die sich etwa seit den 1960er bzw. 1970er Jahren insbesondere in Australien, Neuseeland, den USA und Kanada in weitverzweigte politische Bewegungen entwickelt haben, die die Rückgabe der Gebeine fordern. Infolgedessen hat es seit 2010 aus Deutschland auch bereits mehrere Rückgaben gegeben, z.B. nach Neuseeland, Australien, Namibia, Japan und Hawaii.

In ethnologischen Museen betrifft die Debatte zum Beispiel auch Mumien aus Ägypten oder Südamerika sowie Schrumpfköpfe aus Südamerika und Ahnenschädel aus Papua-Neuguinea. Auch Haare oder Finger- und Fußnägel können sich in den Sammlungen finden: manchmal sind sie, wie auch Knochen, in kulturellen Objekten verarbeitet worden. Umstritten ist, ob auch Abbildungen oder Abformungen (z.B. von Gesichtern) zu den „menschlichen Überresten“ zu zählen sind. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten