Glossar

Erklärungen zu Begriffen aus dem Bereich der Provenienzforschung und den vier Forschungskontexten von Proveana.

Eine Überblicksseite mit allen Termen steht zur Verfügung.

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Rassenkunde / Rassenanthropologie

Bereits seit der Aufklärung beschäftigten sich europäische und in der Folge auch nordamerikanische Wissenschaftler mit der Frage, wie sich menschliche Vielfalt am besten beschreiben, einteilen und in ihren Ursprüngen erklären lasse. Je nach Theorie gingen sie dabei von einer Einteilung der Menschheit in mehrere „Rassen“ aus (die genaue Zahl variiert), die sich entweder aus einer gemeinsamen „Urlinie“ entwickelt oder von Anfang an als getrennte Gruppen existiert hatten. Diese Überlegungen waren einerseits mit dem evolutionistischen Weltbild, andererseits mit der religiösen Idee einer göttlichen Schöpfung in unterschiedlichsten Kombinationen verknüpft. Von Anbeginn an untersuchten Wissenschaftler zur Klärung dieser Fragen physische Merkmale von Individuen (wie Haut- und Haarfarbe, Form und Größe von Schädeln) und setzen sie in Verbindung mit kulturellen, politischen oder religiösen Praktiken der betreffenden Gruppen. Die daraus hervorgehenden Einteilungen variierten, zeichneten sich jedoch oft durch eine hierarchische Anordnung aus, bei der eine imaginierte „weiße/europäische Rasse“ an der Spitze stand. In Verbindung mit der Etablierung der biologischen Anthropologie als wissenschaftlicher Disziplin sowie dem Ausbau kolonialer Strukturen, die es den Forschenden und/oder ihren Zuträgern ermöglichten, weit entfernte Gegenden zu bereisen um dort meist gegen den Willen der Betroffenen Schädel wie auch Daten von lebenden Personen zu sammeln (Messdaten, Abbildungen, Lautaufnahmen, etc.), entstand daraus eine spezifische „Rassenkunde“, die einen direkten Einfluss auf die Beziehung zwischen Kolonialherren und Kolonialisierten hatte. Auch andere Disziplinen wie die Ethnologie oder die Ur- und Frühgeschichte trugen hierzu bei. Bis heute lagern in vielen Sammlungen die materiellen Spuren dieser Wissenschaft: neben den menschlichen Überresten selbst gehören dazu auch Messreihen, Abbildungen und Publikationen. Insbesondere erstere sind häufig Gegenstand von Rückforderungen. Zwischen der kolonialen „Rassenkunde“ und den späteren Verbrechen des Nationalsozialismus gibt es eine direkte Verbindung. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Red Flag Names

Die Art Looting Investigation Unit (ALIU), eine von der US-Regierung eingerichtete Spezialeinheit unter dem Dach des damaligen Nachrichtendienstes Office of Strategic Services (OSS), produzierte zwischen 1945 und 1946 eine Reihe von Berichten zum NS-Kulturgutraub - darunter eine Liste beteiligter Personen und Körperschaften, die sogenannten Red Flag Names. Sie enthält insbesondere deutsche Kunsthändler, die nachweislich mit dem NS-Kulturgutraub in Zusammenhang stehen. Diese Liste bildet bis heute die Grundlage für erste Verdachtsmomente hinsichtlich NS-Raubgut: Wenn ein Objekt in Verbindung mit einer Person oder Institution der Red Flag Names steht, sollte es auf seine Provenienz untersucht werden. (SL)

Liste ALIU Red Flag Names in Proveana

  • NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut

Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933-1945: Post-War Reports: Art Looting Intelligence Unit (ALIU) Reports 1945-1946 and ALIU Red Flag Names List and Index, www.lootedart.com/MVI3RM469661 (letzter Zugriff 02.12.2020).

Reichskolonialamt

Zwischen 1907 und 1919 war das Reichskolonialamt die zentrale Behörde im →Deutschen Kaiserreich für die Verwaltung der Kolonien. Bis 1890 war eine Abteilung des Auswärtigen Amtes für deutsche Kolonialpolitik zuständig gewesen; dann wurde eine eigene Kolonialabteilung gebildet, die zwar nach wie vor im Auswärtigen Amt angesiedelt, aber nun direkt dem Reichskanzler unterstellt war. Ab 1896 beherbergte die Abteilung auch das Kommando über die →Schutztruppen, das bis dahin beim Reichsmarineamt angesiedelt gewesen war. Das ab 1907 bestehende Reichskolonialamt war ebenfalls direkt dem Reichskanzler unterstellt. Nachfolgeinstitution ab 1919 war das Reichskolonialministerium, das nach dem ersten Weltkrieg vor allem mit der Abwicklung der ehemaligen Kolonien befasst war. Die erhaltenen Akten des Reichskolonialamts lagern heute im Bundesarchiv. (SF)

  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

Republikflucht

Achtung, hierbei handelt es sich um einen problematischen Begriff aus dem zeithistorischen Sprachgebrauch, dessen heutige Verwendung unangemessen bzw. nur mit entsprechender Kennzeichnung im wissenschaftlichen Kontext gebräuchlich ist. Derartige Termini können bspw. diskriminierend, euphemistisch, ideologisch gefärbte Neuschöpfungen und/ oder ideologische Neologismen sein.

Vom 11. Juni 1953 bis 1990 die DDR-amtliche Bezeichnung für das „unangezeigte Verlassen“ des Staatsgebietes – also die illegale, d.h. behördlich nicht genehmigte Übersiedlung von der DDR in die BRD oder ins nichtsozialistische Ausland, einerseits durch fluchtartiges Überqueren der Staatsgrenze unter Lebensgefahr (Sperrbrecher), andererseits durch Nichtrückkehr in die DDR nach einer Auslandsreise (→Ausbürgerung und →Ausreise). Die Bezeichnung Republikflucht war im Sprachgebrauch der SED außerhalb des amtlichen Schrifttums aber bereits vor 1953 in Gebrauch.

Der Republikflüchtige galt als Verräter. Seit 17. Juli 1952 gemäß der „Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten“ verlor er seinen gesamten zurückgelassenen Besitz durch Beschlagnahme und Einziehung. Ab 1953 („Neuer Kurs“) konnte der Republikflüchtige einen Verwalter für die zurückgelassenen Vermögenswerte einsetzen; tat er das nicht, war vom Staatlichen Notariat ein Abwesenheitspfleger oder vom Rat des Kreises ein Treuhänder zu bestellen. Ab 1957 (Neufassung des Passgesetzes) wurden die von den Republikflüchtigen eingesetzten Verwalter in der Verwaltungspraxis ohnehin häufig nicht mehr anerkannt, und ab 1958 (Anordnung Nr. 2 des Finanzministeriums) wurde das private Flüchtlingsvermögen generell unter staatliche Treuhandverwaltung gestellt und verwertet, z.B. durch Verkaufsangebot an oder Abgabe in museale Sammlungen. Diese erwarben das Gut von Flüchtlingen meist über die Abteilungen Kultur, Finanzen oder Staatliches Eigentum der Räte der Kreise oder über die Volkpolizei.

Seit 1957 waren bereits die vermeintliche Vorbereitung, der Versuch und auch die Beihilfe zur Republikflucht strafbar und gab damit Anlass für staatliche Willkürmaßnahmen (ähnlich wie bei fingierten →Steuervergehen); auch Mitwisserschaft und Nichtanzeige einer R. standen unter Strafe. Außerdem wurden 1972 per Gesetz alle Personen, die vor dem 1. Januar 1972 ihren Wohnsitz außerhalb der DDR verlegten, durch das Gesetz GB. I 1972 Nr. 18, S. 265 aus der Staatsbürgerschaft entlassen; ihre persönlichen Eigentumsrechte an Dingen, die sich teilweise in Museen und sonstigen Sammlungen befanden und bisher noch als Fremdbesitz unter staatlicher Treuhandverwaltung galten, sah man damit als hinfällig an und inventarisierte die Stücke in Folge meist. (MD)

  • Kulturgutentziehungen in SBZ und DDR

Restitution in kind

Zum Ausgleich von Verlusten werden dem Opfer anstelle von Schadensersatzzahlungen dieselben oder neue Güter übergeben. Im Kontext des Zweiten Weltkrieges wurde von den Alliierten die Diskussion geführt, Deutschland zu verpflichten, Werke aus eigenem Besitz als Gegenleistung für zerstörte oder geplünderte Kulturgüter besetzter Gebiete zu erstatten. In der Sowjetunion erarbeitete ein Expertenbüro 1943 bis 1945 eine →Äquivalenten-Liste, die Kulturgüter auflistete, welche als Kompensation gedacht waren. Die Restitution in kind findet innerhalb des Völkerrechts keine Anerkennung. (MO)

  • Kriegsbedingt verlagertes Kulturgut

Restitutionsforderung

Wenn mutmaßliche rechtmäßige Eigentümer bzw. deren Rechtsvertreter der Ansicht sind, dass ein Objekt im Besitz einer kulturgutbewahrenden Einrichtung (bspw. eine Bibliothek oder ein Museum) Ihnen oder Ihren Vorfahren NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde, wenden Sie sich mit einer Aufforderung zur Rückgabe an die betreffende Einrichtung. Idealerweise können Sie den Sachverhalt anhand eigener Recherchen belegen. Das Objekt kann auch bereits von der Einrichtung selbst als verdächtig eingestuft und daher als Fund an die Lost Art-Datenbank gemeldet worden sein, wo es für Anspruchsteller öffentlich einsehbar ist. In anderen Fällen ist eine Restitutionsforderung der Anlass für eine Einrichtung, die Provenienz eines infrage stehenden Objekts im Rahmen einer →Einzelfallrecherche zu überprüfen. Sollte sich der NS-verfolgungsbedingte Entzug bestätigen, ist eine "gerechte und faire Lösung" im Sinne der Washingtoner Prinzipien herbeizuführen. (SL)

  • NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut

Rückgabeforderung

  • NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut