Jüdische Sammler:innen

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste baut innerhalb der Forschungsdatenbank Proveana einen Schwerpunkt zu jüdischen Sammler:innen und Kunsthändler:innen auf. Dabei sollen die teils bedeutenden Sammlungen sichtbar gemacht werden, ebenso wie die regionalen Netzwerke, in denen sie (ent)standen. Die Grundlage sind Daten des „Moduls Provenienzrecherche“ (ehem. abrufbar über www.lostart.de), die aufbereitet, aktualisiert und um weitere Sammlungen erweitert werden. Sukzessive wird der Datenbestand zu Sammlungen jüdischer Familien ausgebaut, womit zugleich der einstige kulturelle Reichtum und sein Verlust durch den nationalsozialistischen Raub verdeutlicht werden. 

 Blick in die Porzellansammlung von Hermine Feist, 1930.
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelten sich die Metropolen des Deutschen Reiches zu bedeutenden Zentren des Handelns mit und Sammelns von alter bis zeitgenössischer Kunst und Kulturgütern. Wie die Forschung vorwiegend mit regionalen oder gattungsbezogenen Schwerpunkten herausstellt, wurde das Sammeln und mäzenatische Stiften von Kunst zur gesellschaftlichen Kernaufgabe des wohlhabenden Bürgertums um 1900; Sammlungen wurden zu „Insignien sozialer Zugehörigkeit“ (Pomian: Der Ursprung des Museums, 1988, S. 63). So zählten gerade Familien jüdischer Herkunft zu den wichtigsten Förderern und Mäzenen kultureller Einrichtungen, insbesondere der Museen.
Die Beschäftigung mit Sammlungen jüdischer Familien wirft verschiedene grundlegende Fragen der wissenschaftlichen Beschäftigung auf: Was definiert überhaupt eine Sammlung? Wann kann man von einem Juden oder einer Jüdin sprechen, unterlag diese Benennung einem Wandel? Was macht eine „jüdische“ Sammlung aus? Welche Rolle spielen (Ehe-)Frauen bei der Entstehung von Sammlungen? 
Die Familie des jungen Ludwig Ginsberg mit seiner Ehefrau Helga Aeukens, 1918.
Im Rahmen der Datenerhebung für Proveana entstehen Datensätze zu Personen und Sammlungen, Ereignissen wie Auktionen und Ausstellungen sowie zu Literatur und archivalischen Quellen. Die Benennung der Sammlungen erfolgt auf Basis der verwendeten Quellen und mit Nennung der beteiligten Sammler:innen. Neue Datensätze werden laufend veröffentlicht. Über das Schlagwort „Jüdische Sammler:innen“ werden alle Datensätze mit thematischem Bezug aufgerufen. Durch die Nutzung der Facetten kann das Suchergebnis weiter gefiltert werden, beispielsweise nach Datensatztyp (Person, Sammlung etc.) oder ihrem geographischen Bezug. Eine Übersicht der Sammlungen ist außerdem auf einer interaktiven Landkarte verfügbar.

Sammlungen können bewusst angelegt werden und hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen; sie können sich über einen längeren Zeitraum aber auch zufällig entwickeln, etwa in der repräsentativen Einrichtung von Wohnräumen. Dabei sind die Sammlungsgegenstände vielfältig, von Gemälden prominenter Künstler:innen über Ethnografika bis hin zu Porzellan, Büchern oder Kunstgewerbe. Im Ergebnis will eine Sammlung inhaltlichen oder ästhetischen Kriterien genügen und trägt eine individuelle Handschrift der/des Sammelnden. Die Sammeltätigkeit kann dabei zwischen materieller und ideeller Selbstvergewisserung changieren sowie der Repräsentation, Bildung, Kennerschaft und dem ästhetischen Genuss dienen. Durch Beratung und Vermittlung stehen Sammler:innen häufig mit Kunsthändler:innen und Kunstexpert:innen im Austausch und es entwickeln sich komplexe, mitunter transnationale Netzwerke.

Die Sammlung Maximilian von Goldschmidt-Rothschild umfasste rund 1.300 Objekte von Alter Malerei, Kunsthandwerk sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten und wurde 1938 unter Zwang an die Stadt Frankfurt am Main verkauft.
Die Hamburger Kunstsammlung Wolffson blieb nach dem Tod des Sammlungsgründers Albert Wolffson in Familienbesitz, bis sie ab 1938 unter finanziellem Druck verkauft werden musste. ​​

Sammlungen können im privaten, der Öffentlichkeit verborgenen Umfeld entstehen, jedoch auch öffentlich wahrgenommen werden und der Allgemeinheit zugänglich sein. Auch halböffentliche Formen der Zugänglichkeit sind für Privatsammlungen charakteristisch. Museen und Galerien fördern die Bekanntheit von Sammlungen, wenn Sammler:innen ihre Werke für Ausstellungen zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang erfolgt oft eine wissenschaftliche Bearbeitung in Form von Publikationen. Im Gegenzug profitieren öffentliche Einrichtungen vom Austausch mit privaten Sammler:innen, indem ihnen einzelne Objekte oder gar ganze Sammlungen geschenkt oder vermacht werden.

Die Aktivitäten des Sammelns und Handelns von Kunstwerken lassen sich häufig nicht klar voneinander trennen, Händler:innen sind durchaus auch Sammler:innen, Sammler wiederum agieren als „Marchand-Amateur“ oder „Gentleman-Dealer“.  

Die Zusammenstellung der zerschlagenen Sammlungen und Handelsbestände jüdischer Bürger:innen zeigt zugleich, wie umfangreich die Zerstörung des kulturellen Reichtums in Deutschland durch das NS-Regime war. Hier werden Sammler:innen aufgeführt, die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten beziehungsweise unabhängig von ihrer Selbstdefinition nach den Kriterien der Nürnberger Gesetze (ab 1935) als jüdisch verfolgt wurden. Der NS-Kunstraub war integraler Bestandteil des Holocaust: Mit der antisemitischen Diskriminierung und Verfolgung der Juden wurde von Beginn an auch der Raub ihres Eigentums organisiert. Berufsverbote, erzwungene Geschäftsaufgaben und Beschlagnahme der Vermögen zielten auf die vollständige wirtschaftliche Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. Sammlungen gingen mit ihren Eigentümer:innen ins Exil, wurden unter Zwang verkauft oder beschlagnahmt. Heute sind diese Sammlungen weltweit verstreut. 

 

 

 

 

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Kontakt: proveana@kulturgutverluste.de

Projektmitarbeiterinnen:
Dr. Lisa Hackmann
Dr. Maike Brüggen 
Emilia Krellmann