Bitte großzügig bieten. Die Erwerbungen des HAU Braunschweig durch Johannes Dürkop
Beschreibung
Das Herzog Anton Ulrich-Museum (HAUM) hat in der Zeit von 1933 bis 1945 bei den Kunsthändlern Hans W. Lange (Berlin) und Th. Julius Hahn (Kunsthaus Heinrich Hahn, Frankfurt a. M.) verschiedene Kunstwerke erworben. Sowohl Lange als auch Hahn sind bei Lost Art der Kategorie „Beteiligten Privatpersonen und Körperschaften am NS-Kulturgutraub“ zugeordnet. Für das HAUM war dies der Anlass dafür, die in den Jahren 1942 und 1943 bei Hahn und Lange für das Museum erworbenen Kunstwerke im Hinblick auf einen NS-verfolgungsbedingten Hintergrund untersuchen zu lassen. Das Projekt wurde über die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz gefördert und hatte eine Laufzeit von Juli 2010 bis Oktober 2010.
Bei den mit dem Projekt verbundenen Recherchen ging es primär um die 1943 bei Lange erworbenen drei Gemälde “Cella Berteneder” von Hans Thoma (1839-1924), “Hafenstädtchen” von Andreas Achenbach (1815-1910) und “Hügellandschaft mit romanischem Dom” von Johann Wilhelm Schirmer (1807-1863) sowie um einen 1942 bei Hahn angekauften Historischen Schweizer Renaissance(?)-Hochzeitsschrank und um die ebenfalls 1942 bei Hahn ersteigerten fünf Gemälde “Wassermühle am Laubwald” von Anton Burger (1824-1905), “Felsgrotte mit Opferszene vor einer weiblichen Gottheit” von Rombout van Troyen (um 1605-1650), “Großes Bauerngehöft am Dorfrand” von Maximilian Joseph Wagenbauer (1774-1829), “Mänade auf einem Pantherfell” von Franz Ludwig Catel (1778-1856) und “Winterlandschaft mit Dorfstraße”, das Gemälde sollte laut Auktionskatalog von Anthonie van Beerstraten (1637-um 1665) stammen, geht wohl aber auf einen Beerstraten-Nachahmer zurück.
Nur am Rande berücksichtigt werden konnte bei den Recherchen die Erwerbung der Höchster Porzellanfigur “Der Winter” 1942 bei Hahn. Auch wenn sie ebenfalls nicht Gegenstand der engeren Recherchen waren, so wurden folgende 1943 vom HAUM angekauften Gemälde mit in die Untersuchungen einbezogen: “Brustbild einer Dame”, das Carl Joseph Begas (1794-1854) zugeschrieben wurde, “Italienische Landschaft” von August Wilhelm Julius Ahlborn (1796-1857) und “Ostseeküste” von Valentin Ruths (1825-1905), alle drei erworben bei Scheuermann & Seifert (Berlin), sowie “Hectors Abschied von Andromache” von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), angekauft bei Carl Nicolai (Berlin).
Den Kurs für die Ankaufspolitik des HAUM gab der Braunschweigische Ministerpräsident, Dietrich Klagges (1891-1971), seit 1942 selbst vor. Neben Klagges gehörten der Referent im Volksbildungsministerium und Leiter des Braunschweigischen Landesmuseums, Johannes Dürkop (1905-1945), der Leiter des HAUM, Hans-Werner Schmidt (1904-1991), der Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Geschäftsführer des Braunschweiger Kunstvereins und Kulturverwaltungsrat, Bruno Kroll, sowie der Leiter des Braunschweigischen Kulturverbandes und Regierungsdirektor im Braunschweigischen Staatsministerium, Herbert Lehmann, zu den handelnden Personen bei den Ankäufen für das HAUM in der NS-Zeit seit November 1942.
Als ein Ergebnis der Provenienzrecherchen zu den Ankäufen des HAUM in der Zeit von 1933 bis 1945 kann festgehalten werden, dass der Schweizer Hochzeitsschrank Helene Peipers aus Frankfurt a. M. gehörte. Ein NS-verfolgungsbedingter Hintergrund ist bei diesem Ankauf bisher nicht erkennbar. Ob der Ankauf des Begas-Gemäldes Brustbild einer Dame ebenfalls keinen verfolgungsbedingten Hintergrund hatte, ist unklar. Die Kunsthandlung Scheuermann & Seifert hatte Dürkop 1943 auf Anfrage mitgeteilt, dass das Gemälde einer alten Dame gehört hätte, der es kurzfristig nicht möglich sei, an die von ihrem Mann erstellten Aufzeichnungen zu dem Bild zu gelangen. Der Wahrheitsgehalt der Bemerkungen von Scheuermann & Seifert zur Vorbesitzerin des Begas-Gemäldes lässt sich allerdings nicht überprüfen.
Dagegen ist die Provenienz der Gemälde von Troyen und Wagenbauer geklärt. Beide Objekte gehörten dem jüdischen Hautarzt Dr. Hans Herxheimer (Frankfurt a. M. 1880-Theresienstadt 1944). Herxheimer hatte von seiner 1922 verstorbenen Mutter, Fanny Herxheimer, zahlreiche Kunstwerke geerbt, darunter die Gemälde von Troyen und Wagenbauer. Da seine Mutter als Erblasserin die Verwaltung ihres Nachlasses Testamentsvollstreckern übertragen hatte und sein Erbteil seit 1939 darüber hinaus von der Devisenstelle Frankfurt a. M. des Oberfinanzpräsidiums Kassel unter „Sicherungsanordnung“ genommen worden war, konnte Herxheimer über seine Vermögenswerte nicht frei verfügen. Der Testamentsvollstrecker des Nachlasses von Fanny Herxheimer, Otto Heyer, ließ die beiden Bilder 1942 über das Kunsthaus Heinrich Hahn versteigern. Dort erwarb das HAUM den Troyen und den Wagenbauer. Im Zuge einer einvernehmlichen Regelung zwischen dem HAUM und den Erben nach Hans Herxheimer im Jahr 2013 wurde der Troyen an die Erben restituiert. Den Wagenbauer konnte das HAUM nach Zahlung eines Wertausgleichs an die Erben in seiner Sammlung halten.
Das Gemälde Cella Berteneder von Hans Thoma stammt aus der Sammlung des Berliner Großkaufmanns Max Böhm, der 1944 in Theresienstadt umkam. Ende der Zwanzigerjahre hatte die Stadt Berlin zunächst erwogen, die Sammlung Böhm zu übernehmen, musste dann aber aus wirtschaftlichen Gründen von einem Ankauf absehen. Die Sammlung Böhm stand schließlich 1931 im Auktionshaus Rudolph Lepke (Berlin) zum Verkauf. Das Gemälde Cella Berteneder ist aber wohl nicht versteigert worden, denn 1932 wurde es erneut von Lepke zum Verkauf angeboten. Möglicherweise blieb das Gemälde wieder unverkauft und ging dann in den Besitz des Berliner Kunsthändlers Carl Nicolai über. Dieser hoffte vielleicht, es in München besser verkaufen zu können. Jedenfalls bot ein „Nicolai, Berlin“ am 18. Januar 1935 der Münchner Galerie Heinemann ein Gemälde von Hans Thoma mit dem Titel Cella Thoma an, das von der Beschreibung her dem Bild Cella Berteneder des HAUM exakt entspricht. Das Thoma-Gemälde Cella Berteneder wurde Anfang 1943 von Lange versteigert, wobei Lange als Wohnsitz des „Auftraggebers“ München angab. Hier würde sich der Kreis wieder schließen. Allerdings ist das Bild von der Galerie Heinemann soweit bekannt nicht angekauft oder gehandelt worden. Die sich aufdrängende Frage, ob das Thoma-Gemälde dann von Nicolai nach München an einen anderen Kunsthändler oder eine Privatperson verkauft worden ist, kann aus den vorliegenden Quellen heraus nicht beantwortet werden. Viele Fragen bleiben also offen – nicht nur zum Thoma-Gemälde, sondern vor allem auch zu den Werken von Achenbach, Schirmer, Beerstraten, Burger und Catel, zu deren Provenienzen im Rahmen des Projekts keine Hinweise ermittelt werden konnten.
Die Ergebnisse des Projekts sind in Hansjörg Pötzsch: „Bitte großzügig bieten“. Die Erwerbungen des Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig im überregionalen Kunsthandel 1942/43 und die schwierigen Recherchen zu deren Provenienz. Hrsg. vom Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Braunschweig 2012, publiziert worden. Es ist angedacht, das Gemälde von Wagenbauer in der neuen Dauerausstellung des HAUM „Einführung in die Geschichte des Museums“ als Beispiel für „Raubkunst“ zu präsentieren.
Grunddaten
Forschungsbericht und Materialien
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- Verweist aufHöltge, Kathrin, Das Herzogliche Museum 1806-1887, in: Luckhardt 2004, S. 229
- Verweist aufJacoby, Joachim, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig: Die deutschen Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts, Braunschweig 1989, S. 137 f.
- Verweist aufKingreen, Monica, Zur „Arisierung“ von Kulturgut in den Jahren „nach der Kristallnacht“ in Frankfurt am Main und die Rolle Frankfurter Kulturinstitute, Manuskript, Frankfurt a. M. (2000), o. S. Vgl. Handreichung 2007, S. 60.
- Verweist aufKlessmann, Rüdiger (Bearb.), Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig: Die holländischen Gemälde. Kritisches Verzeichnis mit 485 Abbildungen, Braunschweig 1983, S. 20.
- Verweist aufLademann, Jördis, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig: Verzeichnis der Gemälde nach 1800, Braunschweig 1992, S. 13, 37.
- Verweist aufLandsberger, Franz, Wilhelm Tischbein. Ein Künstlerleben des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1908, S. 193. Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg (Hrsg.), Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751 – 1820). Gedächtnis-Ausstellung von Gemälden,
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- Verweist aufMeißner, Günter (Begr. u. Mithrsg.), Saur allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 15: Bucki-Campagni, München/Leipzig 1997, S. 200.
- Verweist aufMeißner, Günter (Begr. u. Mithrsg.), Saur allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 17: Carter-Cesaretti, München/Leipzig 1997, S. 292 f.
- Verweist aufMost, Ger van der, Jan Abrahamsz., Abraham, Anthonie Beerstraten: kunstschilders uit de zeventiende eeuw, Noorden 2002.
- Verweist aufOlbrich, Harald u. a. (Hrsg.), Lexikon der Kunst, Bd. VII: Stae-Z, Leipzig 1994, S. 301 f.
- Verweist aufOtte, Wulf, Braunschweigischer (Landes)Kulturverband (1941-1950), in: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 80/1999, S. 227 ff.
- Verweist aufOtte, Wulf, Die Hornburger Synagoge. Zur Ideologisierung eines Museumsprojektes in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte,80/1999, S. 220.
- Verweist aufWulf Otte: Staatliche Kulturpolitik im Lande Braunschweig 1933-1945, in: Städtisches Museum Braunschweig/Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (Hrsg.), Deutsche Kunst 1933-1945 in Braunschweig. Kunst im Nationalsozialismus. Katalog der Ausstellung
- Verweist aufRegteren Altena, Iohan Quirijn van, Apollon cryptogène imaginé par un petit Maître D´Amsterdam, in: Gazette des Beaux-Arts 84/1974, S. 215- 222.
- Verweist aufSchmidt, Hans-Werner, Neuerwerbungen des Herzog-Anton-Ulrich-Museums 1942/43, in: Braunschweiger Kunstspiegel. Mitteilungsblatt des Kunstvereins Braunschweig e. V., Dezember 1943, S. 47.
- Verweist aufStengel, Katharina (Hrsg.): Vor der Vernichtung. Die staatliche Enteignung der Juden im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 2007
- Verweist aufThoms, Robert, Große Deutsche Kunstausstellung München 1937- 1944. Verzeichnis der Künstler in zwei Bänden, Bd. 1: Maler und Graphiker, Berlin 2010.
- Verweist aufVollmer, Hans (Hrsg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart (Thieme-Becker), Bd. 33: Theodotos-Urlaub, Leipzig 1939, S. 443.
- Verweist aufVollmer, Hans (Hrsg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart (Thieme-Becker), Bd. 35: Waage-Wilhelmson, Leipzig 1942, S. 22
- Verweist aufWalz, Alfred, Das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (1735-1806), in: Ebd., S. 122-175.