Erforschung eines möglichen NS-verfolgungsbedingten Entzugs einer Kunstsammlung von Helene List als Erbin der Sammlung von Adolph List
Beschreibung
Den Gegenstand des Forschungsprojektes stellte die Kunstsammlung des jüdischen Industriellen Dr. Adolph List (18611938) in Magdeburg dar, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den bedeutendsten deutschen Privatsammlungen auf dem Gebiet des Kunstgewerbes gehörte.
Die aus über 3.000 Einzelstücke bestehende List-Sammlung umfasste in der Mehrheit europäisches Kunstgewerbe aus dem 13. bis zum 18. Jahrhundert: Möbel, Zinngerät, Bronzen, Silber, Gold, Glas, Schnitzarbieten aus Elfenbein und Buchsholz, Miniaturen, Emailarbeiten, Schmuck und Uhren, Stickereien, Bildteppiche, Steinzeug, italienische Majoliken, Delfter Fayencen, Porzellan, Zinn, kirchliches Metallgerät und Varia, aber auch Gemälde, vornehmlich aus dem 19. Jahrhundert, sowie Skulpturen, Ton- und Glasgefäße und Schmuckstücke der klassischen Antike.[1]
Auf welchem Weg Adolph List seine Sammlung über die Jahrzehnte zusammentrug, d. h. in welchen Auktionen und zu welchen Preisen er Kunstwerke erwarb und wer ihm als Kunstagent beratend zur Seite stand, ist weitgehend unerforscht.
Bekannt ist nur, dass die Ursprünge der List-Sammlung bis in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Als maßgebendes Vorbild für die Sammlung wie auch für zahlreiche andere derartige Kollektionen um 1900 diente die seinerzeit berühmte Pariser Kunstgewerbesammlung des österreichischen Kunsthändlers Frédéric Spitzer (18151890). Nachdem die Spitzer-Sammlung 1893 versteigert wurde, fanden einige Stücke daraus nachweislich den Weg von Paris nach Magdeburg in Lists Sammlung, darunter eine aus der Zeit um 1400 stammende Elfenbeingruppe „Christus wird von zwei bewaffneten Schergen geführt“ (Auktionskatalog Sammlung List, 1939, Kat.-Nr. 178).
List führte nachweislich sogar eine eigene „Kartothek“, jedoch ausschließlich für seine Porzellansammlung, die genaue Aufzeichnungen über den Zeitpunkt des Erwerbs und zur Herkunft eines jeden Stückes beinhaltete.
Die mit etwa einer Million Reichsmark bewertete Sammlung wurde nach dem Tod Adolph Lists († 1938) durch das Berliner Auktionshaus Hans W. Lange, auf zwei Auktionen verteilt, versteigert (Abb. 1). In der Auktion im März 1939 wurden 973 Positionen mit ca. 2.000 Einzelobjekten aufgerufen.[2] Das Angebot der zweiten Auktion (1940) umfasste weitere 569 Positionen mit ungefähr 1.000 Einzelstücken.[3]
In der Sammlung des Focke Museums Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte befinden sich heute vier Objekte, die in der Auktion der List-Sammlung 1939 für das Focke Museum erworben wurden. Es handelt sich dabei um zwei Steinkrüge aus dem 16. und 17. Jahrhundert sowie zwei Stücke aus Böttgersteinzeug. Diese Objekte wurden durch das Focke Museum in der Lost Art Internet-Datenbank, Rubrik „Fundmeldung“ veröffentlicht.
Kurzbiografie: Dr. Adolph List (1861-1938)
Der in Südrussland/Gouvernement Woronesch geborene Adolph Moritz List (Abb. 2) wuchs in Leipzig auf, wo er ab 1873 das dortige Realgymnasium besuchte. Nach einer mehrjährigen Lehrzeit auf verschiedenen Gutshöfen in der preußischen Provinz Brandenburg begann er 1882 ein Studium der Chemie an der Universität in Leipzig, das er 1886 mit der Promotion abschloss.
Im selben Jahr gründete Adolph List gemeinsam mit seinem Cousin Constantin Fahlberg (18501910) die weltweit erste Saccharinfabrik (Kommanditgesellschaft Fahlberg, List & Co.) mit Sitz in Salbke bei Magdeburg. List leitete das Unternehmen mehrere Jahre als Generaldirektor und wurde nach seiner Pensionierung 1927 in den Aufsichtsrat des Konzerns gewählt. Das Bekanntwerden von Lists jüdischer Herkunft im April 1936 sorgte im Vorfeld des 50-jährigen Jubiläums der Fahlberg-List AG Chemische Fabriken für einen öffentlichen Eklat. Die Führungsspitzen der örtlichen NSDAP-Gauleitung, der Deutschen Arbeitsfront und der Wehrmacht verweigerten daraufhin ihre Teilnahme an den Feierlichkeiten. In der Folge kam es mehrfach zu antisemitischen Anfeindungen gegenüber Adolph List und seiner Familie. Im Zuge der „Arisierung“ des Unternehmens trat Adolph List schließlich (1937) unter dem Druck der Betriebsleitung von seinem Posten als Aufsichtsratsmitglied zurück.
Adolph List war seit 1897 mit der Tochter eines Leipziger Fabrikanten verheiratet, mit welcher er vier gemeinsame Kinder hatte. Die Familie List bewohnte ein repäsentatives Stadthaus (kriegszerstört) im Zentrum Magdeburgs. Adolph List starb am 17. Juni 1938 im Alter von 76 Jahren in Magdeburg.
Provenienzrecherche:
Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung wurden Adolph List und einzelne Mitglieder der Familie List nachweislich Opfer von NS-Unrecht. Adolph List starb bereits im Jahr 1938, seine Sammlung erbte daraufhin seine nicht-jüdische Ehefrau, die die Kunstsammlung schließlich 1939/40 versteigern ließ.
Aufgrund der lückenhaften und teilweise widersprüchlichen Forschungslage sowie der unklaren Verkaufsumstände lag zunächst die Vermutung eines NS-verfolgungsbedingten Zwangsverkaufs der List-Sammlung nahe.
Das Ziel des Forschungsprojektes war daher, die genauen historischen Tatsachen zu ermitteln, um schließlich eine auf umfangreichen Archiv- und Literaturrecherchen gestützte Gesamtbetrachtung und Beurteilung dieses Falles zu ermöglichen, d. h. um einschätzen zu können, ob ein direkter Zusammenhang zwischen den eingangs geschilderten Ereignissen und der Versteigerung der List-Sammlung besteht, ergo ein NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust vorliegt.
Gemäß den „Grundsätzen der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ vom 3. Dezember 1998 und der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ vom Dezember 1999, galt es im Rahmen der Provenienzrecherchen die genauen Lebens- und Vermögensverhältnisse der Familie List zum Zeitpunkt der Auktion aufzuklären, d. h. inwiefern es einen Zugriff auf das Vermögen der Familie List durch das NS-Regime gab und welche Maßnahmen gegen die Familie unternommen wurden, die möglicherweise einen Verkauf der Kunstsammlung erzwungen haben könnten (Zwangsversteigerung).
Außerdem wurde geprüft, ob gegebenenfalls ein Verschleuderungsschaden eingetreten ist, also die Höhe der Versteigerungspreise unangemessen war, da nicht selten der Fall eintrat, dass Interessenten bei den damals so bezeichneten „Judenauktionen“ die Gelegenheit nutzten, um Kunstwerke zu verschwindend geringen Preisen zu erwerben.
Alle Ergebnisse des Forschungsprojektes wurden in einem detaillierten Bericht erfasst und beschrieben, der dem Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg vorliegt.
von Sven Pabstmann
[1] Vgl. hierzu die Auktionsvorschau in: Weltkunst 11 (1939), S. 3.
[2] Vgl. Die Sammlung List, Magdeburg. Europäisches Kunstgewerbe des 13. bis 18. Jahrhunderts. Beschrieben und eingeleitet von Otto von Falke. Versteigerung am 28., 29. und 30. März 1939. Berlin 1939 (Auktionskatalog Hans W. Lange). Digitalisat unter: ://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lange1939_03_28
[3] Vgl. Sammlung List, Magdeburg, II. Teil, Chinasammlung Prof. Wegener †, Berlin, verschiedener Kunstbesitz. Gemälde alter und neuerer Meister, Möbel, Silber, Porzellan, Textilien, chinesische Bronzen, Keramik, Glas, Textilien, Rollbilder. Versteigerung am 25., 26. und 27. Januar 1940. Berlin 1940 (Auktionskatalog Hans W. Lange). Digitalisat unter: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lange1940_01_25
© Focke-Museum, Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Bremen, 2014
Grunddaten
Forschungsbericht und Materialien
Für den Zugang zu den Forschungsberichten ist ein sogenannter erweiterter Zugang notwendig. Dieser kann beim Zentrum beantragt werden und setzt ein „berechtigtes Interesse“ voraus. Nähere Informationen hierzu erhalten Sie in der Ausführlichen Anleitung. Sollten Sie bereits über ein Nutzerkonto mit erweitertem Zugang verfügen, loggen Sie sich bitte ein.
Inhaltliche Bezüge
Personen/Körperschaften
- Verweist aufEmersleben, Otto Ernst Ludwig
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- Verweist aufUniversitätsarchiv Leipzig
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Ereignisse
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Literatur & digitale Angebote
- Verweist aufHattenhorst, Maik: Magdeburg 1933 – Eine rote Stadt wird braun, Halle 2010 (Magdeburger Schriften, 3), hier bes. Kap. 7 „Die Verfolgung der jüdischen Magdeburger“ (ebd., S. 255–285).
- Verweist aufHattenhorst, Maik: Stadt der Mitte. Zentrum der Aufrüstung und zweite Zerstörung, in: Magdeburg. Geschichte der Stadt (805–2005), hrsg. v. Matthias Puhle und Peter Petsch, Dössel 2005, S. 793.
- Verweist aufKlammt u.a.: "Die moderne deutsche Kunst mußte zur Geltung gebracht werden". Zur Erwerbung von Kunstwerken aus jüdischem Eigentum für die Kunstsammlung Görlitz, 2001.