Recherche nach NS‐Raubgut in den Beständen der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe
Description
Die Badische Landesbibliothek als eine der größten Regionalbibliotheken Deutschlands war während der Zeit des Nationalsozialismus, wie andere Kulturgut verwahrende Institutionen auch, in die staatlichen Strukturen zur Verwertung beschlagnahmter Kulturgüter aus jüdischem Vermögen eingebunden und profitierte davon. Bibliotheksdirektor Dr. Friedrich Lautenschlager wurde vom Generalbevollmächtigen für den Landeskommissarbezirk Karlsruhe zum Sachverständigen für die Begutachtung beschlagnahmter Sammlungen ernannt und begutachtete mehrere Bibliotheken, darunter auch die seines Amtsvorgängers Dr. Ferdinand Rieser, der aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 entlassen worden war.
Mit der Zerstörung des Bibliotheksgebäudes am 3. September 1942 wurden sowohl die Bestände als auch das Verwaltungsschriftgut der Badischen Landesbibliothek vernichtet. Nur wenige im Luftschutzkeller gelagerte oder während des Bombenangriffs entliehene Druckschriftenbände und die bereits 1939 ausgelagerten Zimelien (Handschriften, Inkunabeln und rarifizierte Frühdrucke) überstanden dieses Ereignis unversehrt. Nach dem Bombenangriff wurde der Bestand mit Unterstützung durch die zuständigen Reichsbehörden rasch wiederaufgebaut. Buchhandel und Antiquariate, Behörden und Organisationen sowie private Verkäufer und Schenker boten der Bibliothek Bücher zum Wiederaufbau an. Heute noch vorhandenes NS-Raubgut befindet sich in diesen neu aufgebauten Beständen.
Während der Jahre 2017 bis 2019 wurde der Monographienbestand im Signaturenbereich 42 A/B/C – 50 A/B/C (allgemeiner Zugang) und O 42 A/B/C – O 50 A/B/C (Spezialbereich Oberrhein) per Autopsie systematisch auf NS-Raubgut überprüft. 37.211 Bände, die von Oktober 1942 bis Dezember 1950 in den Bestand aufgenommen wurden, wurden entsprechend dem Leitfaden für die Ermittlung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in Bibliotheken nach sechs Verdachtskategorien klassifiziert. Dabei ergab sich folgende Bilanz: 33,5 % der überprüften Bände sind als unbedenklich einzustufen. 65,6 % der Bände sind hinsichtlich ihrer Provenienz unspezifisch. Lediglich 0,8 % der Bände wurden mit NS-Raubgutverdacht klassifiziert und 0,1 % der Bände als NS-Raubgut gesichert.
Verfolgungsbedingt entzogener Buchbestand stammt unter anderem aus den Bibliotheken des Oberrats der Israeliten Badens, des Jugend-Lernvereins Chinuch Neorim in Karlsruhe sowie der Josefine und Eduard von Portheim-Stiftung für Wissenschaft und Kunst in Heidelberg; mehrere durch Kauf erworbene Bände stammen aus dem 1938 arisierten Antiquariat von Hans Peter Kraus in Wien; als verfolgte jüdische Vorbesitzer konnten außerdem die Karlsruherinnen Emma Fürst, Irma Schwarzenberger und Jenny Teutsch sowie die Wiener Familie Klang identifiziert werden. Die Annahme, die staatliche Aufbauhilfe für die Badische Landesbibliothek habe auch zur Abgabe deutlich erkennbarer größerer NS-Raubgutbestände durch staatliche Organisationen und Institutionen geführt, hat sich nicht bestätigt.
Die Dokumentation sämtlicher Verdachts- und Raubgut-Fälle erfolgte in der K10plus-Datenbank des BSZ/VZG-Katalogverbundes und im lokalen Bibliothekskatalog ebenso wie in der kooperativen Provenienzdatenbank Looted Cultural Assets (LCA); es wurden insgesamt für 459 Objekte Daten eingespielt, die wiederum mit 29 Personen oder Institutionen verknüpft sind. Die de facto als NS-Raubgut klassifizierten 37 Objekte wurden zudem an die internationale Lost Art-Datenbank gemeldet. Restitutionen sind in fünf Fällen für 19 Bände eingeleitet.
Das Projekt und seine Ergebnisse wurden fachspezifisch auf Tagungen und Konferenzen sowie dem allgemeinen Publikum auf bibliothekseigenen Veranstaltungen vorgestellt. Auf den Webseiten der Badischen Landesbibliothek sind die Erkenntnisse des Projektes zum NS-Raubgut dauerhaft präsentiert.
(c) Badische Landesbibliothek Karlsruhe
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